Mutterschutz mit Reh

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Ich schreibe diese Zeilen aus einem Kompost. Richtig gelesen, ich sitze im Schneidersitz in einem Kompostgitter, das Laptop auf meinen Beinen und ein kleines Rehkitz namens Gerda versucht in das Gerät zu beißen. Gerda ist jetzt knapp eine Woche bei uns. Sie wurde in einem Privatgarten gefunden. Dort hat sie zwei Tage lang in Kälte und Nässe nach ihrer Mutter geschrien. Der Frühling hat dieses Jahr lange auf sich warten lassen. Was mag der Reh-Mutter wohl zugestoßen sein? Wurde sie überfahren? Illegal geschossen? Im Frühling dürfen Rehe nämlich nicht bejagt werden – es ist «Schonzeit». ‒ Wir werden es nie erfahren.

Als ich Gerda zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich kaum glauben wie klein sie war. Wenn sie liegt, ist sie kleiner als unser Kater Toni! So ein zartes, schutzbedürftiges Wesen ... Sie rührte sofort mein Herz an. Doch es war schon vorher klar, dass wir uns um sie kümmern würden, als der Nationalpark Bayerischer Wald uns anfragte. (Mein Lebensgefährte arbeitet dort als Förster. Und begreift sich immer weniger als ein solcher, sondern vielmehr als Hüter oder Bewahrer. Aber mehr dazu an anderer Stelle.)

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Gerda lässt mich dieses Buch schreiben. Denn verlasse ich den Kompost und setze mich in Sichtweite nur einen bis drei Meter daneben, wird sie nerövs und fiept, läuft aufgeregt umher. Sobald ich mich zu ihr setze, äst sie den Klee im Rasen oder legt sich entspannt hin. Drinnen im Haus können wir sie in einem Baby-Laufstall allein lassen, aber draußen fühlt sie sich noch unsicher. All die Gerüche, der Wind, die Geräusche des Menschen und der Tierwelt irritieren sie noch. So setze ich mich zu ihr und tippe diese Zeilen, während Gerda in die Luft schnuppert und ich Ameisen aus meinem T-Shirt fische. Manchmal knabbert sie an meinem Knie, leckt über meine Haut. Sie strahlt eine Ruhe und Munterkeit aus, die abfärbt.

Eigentlich müsste es andersherum sein, aber Gerda hält uns aufrecht in dieser ansprungsvollen Zeit, in der wir auch Nachts aufstehen um ihr die Flasche zu geben. Sie ist so eine tapfere Kämpferin: Bekam sie doch Infusionen zur Zwangsernährung, als sie noch nicht gelernt hatte an der Flasche zu trinken. Die Tierärztin hat nicht daran geglaubt, dass dieses schwache, unterernährte, unterkühlte und bereits halb tote Wesen überleben würde. Und nun: Beim Tippen dieser Zeilen macht sie den ersten Sprung ihres Lebens quer über die Tastatur! Sie war wenige Tage alt, als sie in menschliche Obhut genommen wurde. Sie trinkt noch zu wenig und ist viel zu klein und dünn für ihre schätzungsweise drei Wochen. Aber sie wirkt stark und lebenshungrig.

Der erste Tag im Kompostgehege draußen ‒ und ihr wohl erster Tag mit Sonnenlicht auf dem Fell ‒ war ein warmer, trockener Tag. Gerda lag zufrieden auf ihrer Decke. Die winzige Hufe hatte sie durch das metallene Kompostgitter gestreckt. Ich habe die Hufe vorsichtig herausgezogen, damit sie sich nicht verletzt, wenn sie sich erschrecken sollte. Zehn Minuten später fand ich dasselbe Bild vor. Wenig später ein drittes Mal. Bei vierten Mal beließ ich die Hufe an Ort und Stelle, umd dann folgendes Bild vorzufinden: Gerda mit genießerisch geschlossenen Augen, Sonne tankend und beide Vorderhufen im Gitter. Es sah aus als ob sie einen Wohnzimmer-Schemel für die bequemere Lage der Füße benutzen würde! Hier ein Foto davon: 

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© Maria Rabia Rossmanith (Text und Fotos), MEERSTERN.de 


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