Persönliches.

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ES BRAUCHT AUCH DIE BEWAHRER DER STILLE.

Heute ‒ ziemlich genau 2 Jahre, nachdem ich meine Firma MEERSTERN verkleinert und somit viel mehr Zeit habe ‒, habe ich ich zum ersten Mal gespürt, was ich schon immer geahnt habe; und es hat sich angefühlt wie ein großes Geschenk und eine große Erleichterung.

«Kannst du nicht einmal den Mut bekommen, zu denken, du wärest auch ohne Leistung und Arbeit berechtigt zu leben? Kannst du dir nicht einfach mal gestatten, an etwas anderes zu denken als daran,
was du tun musst und was du zu machen hast?
Kannst du nicht einfach mal dich dem Empfinden überlassen, dass du berechtigt bist zu sein?»
(Eugen Drewermann; Buchauszug)

Diese Worte von Eugen Drewermann haben mich mein Leben lang erinnernd begleitet. Ich wusste, dass sie wahr sind. Aber erst jetzt, mit knapp 40 Jahren, kann ich die ihnen innenwohnende Wahrheit fühlen.

Das war nicht immer so: Es war während eines wolkenfreien Vormittags, als ich über die bewaldeten Hügelketten des Bayerischen Waldes blickte. Zu diesem Zeitpunkt war ich frisch in der «neuen Zeit» herausgekommen ‒ hatte also erst seit wenigen Tagen viel weniger zu tun. Ich blickte in die Landschaft, sah die Weite, spürte den Raum, vernahm die Stille. Dahinter, darunter, daneben das Wissen, dass jetzt die Mehrheit aller Menschen ‒ in dem Moment gefühlt fast alle ‒ einer bestimmten Tätigkeit nachgehen: Im Stress, im Lärm, im Hamsterrad, in der Euphorie, in geregelten Bahnen, in künstlich beleuchteten Büroräumen ... ‒ Und diesen friedlichen Moment verpassen. Ich fühlte mich aufgeregt und irgendwie auch schuldig dabei.

Aufgeregt, da ich in diesem vogelfreien Raum sein durfte. Es fühlte sich an wie an einem Geheimnis teilzuhaben. Weil ich etwas wahrnahm, das zeitgleich wohl ganz wenige Menschen wahrnahmen. Und weil sich das Leben ganz neu anfühlte: unberührt und rein. Außerdem fühlte sich mein Körper erleichtert, da er von den intensiven, hinter mir liegenden Arbeitsjahren erschöpft und auch krank geworden war. 

Und schuldig fühlte ich mich, weil wohl jeder Mensch eine innere Überzeugung (beigebracht bekommen) hat, dass man doch Tag für Tag etwas leisten müsse, um eine gewisse Daseinsberechtigung zu haben. Und in meinem Fall war der hinter mir liegende Weg gewissermaßen «von 100 auf 0» ‒ glich also einer Vollbremsung.

Auch eine Spur Ängstlichkeit mischte sich in die Empfindungen. Ich wusste nicht, ob meine Firma meinen Lebensunterhalt mit der Verkleinerung überhaupt noch tragen würde. Es war ein Sprung ins Ungewisse, weil mir mein Körper keine andere Wahl ließ. Mein Körper gab in Form eines Burn-outs die Antwort.

Als ich Zuhause ankam, schrieb ich dem Lebensgefährten meiner Mutter*, der gar nicht mehr arbeitet (er lebt von seinem Ersparten), dass ich mich nun im selben Raum wie er befände: einer Art Parallelwelt. Mehr Menschen kannte ich nicht, die so lebten.

Die erste Zeit zeichnete sich insgesamt dadurch aus, dass ich die geschäftige Welt beobachtete. Und täglich lange Streifzüge mit meiner Hündin unternahm. Meinen Kopf leerte.

«Die Medien versuchen uns zu sagen: Unser Leben muss möglichst viel beinhalten damit wir ein erfülltes Leben haben ‒ ganz viele Aktivitäten und Sachen. Aber wer sagt denn das? Wenn jemand glücklich ist, indem er sieben Tage die Woche auf einem Sessel sitzt und liest, oder die Sterne anguckt abends und tagsüber das Gras wachsen sieht, dann kann das Leben doch genauso erfüllt sein.» (Andrea Morgenstern)

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Ich bin ein Mensch, der sehr viel Stille braucht. Das war immer schon so, schon als Kleinkind. Ich bin sogar ein Mensch, der ein gewisses Maß an grundlegendem Alleinsein braucht. Eine Einsamkeit, die mich eins sein lässt mit der Natur.

Das Maß und die Intensität an Arbeit, die ich in den 15 Jahren zuvor zeitweise erlebte, ließ mich oft nicht so handeln wie es meiner Seele entsprochen hätte. Ich fuhr etwa im Auto von A nach B und spürte genau, dass ich gerne spontan und intuitiv eine Abzweigung dazwischen genommen hätte, um einen Landstrich zu Fuß zu entdecken. «Keine Zeit!» antwortete meist die Vernunft ‒ und wir fuhren weiter, die Vernunft und ich. Ohne neue äußere und sicherlich auch neue innere Eindrücke. 

Und nun schließlich also, während irgendeines neuerlichen Vormittages, ziemlich genau zwei Jahre nachdem ich meine Firma verkleinert hatte, hörte ich dann diese leise Stimme. Ich blickte wieder in die Landschaft des Bayerischen Waldes, wieder war es Vormittag und wieder durchtränkte segnend eine angenehme Stille Wiesen und Wald. Die Stimme in mir sagte:

ES BRAUCHT IM LEBEN AUCH DIE MENSCHEN, DIE DIE LEERRÄUME BEWOHNEN.
DIE, DIE DIE STILLE BEHÜTEN.

Diese Offenbarung befriedete und bestätigte mich. Es fühlte sich rund an. Sie besänftigte mein Gemüt. Beruhigte den Verstand, der sich mitunter durchaus Sorgen macht, ob so eine Entschleunigung und Verkleinerung die finanziellen Kosten in meinem Leben weiter trägt. Ob eine nicht aggressiv-werbende Firma mit leisen-weisen Büchern in der heutigen Zeit überhaupt noch gehört wird.

Ich versuche es. Und bisher klappt es glücklicherweise.

Ich werde auch getragen durch die Stille in der Natur.

Denn ich habe jetzt noch einen zweiten Job (und nicht nur ich). Eine gewissermaßen unsichtbare Arbeit, aber eine wichtige.

Dort, wo ich mich nun bewege, ist es einsamer. Man wird weniger bis gar nicht gesehen. Aber man selbst sieht sehr viel mehr als vorher.

Man darf die Stille behüten.

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  * Die Antwort des Lebensgefährten meiner Mutter war übrigens die folgende: 

«Wann ist eine Tat denn eine Arbeit?
Oder im mathematisch-physikalischen Sinne (Arbeit pro Zeiteinheit) gar eine Leistung?
Wenn man bunte Scheine dafür kriegt?
Achtung in der Gesellschaft erreicht?

Und wer hebt die Schnecke vom trockenen Asphalt weg,
streichelt die dir freundlich gesonnen entgegenkommende Katze,
gießt die austrocknende Pflanze am Eck des verlassenen Hauses,
schaut bewundernd den Kranichen nach die einen langen Weg auf sich nehmen,
setzt sich still neben die Bäume und ist dankbar ob deren ruhigen geduldigen Wesens,
hört sich die Sorgen und Nöte immer einsamer werdenen Mitmenschen an?

Auf dass die Welt leiser wird ... »

© Maria Rabia Rossmanith, MEERSTERN.de 


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